I.
http://www.openpetition.de/petition/online/petition-gerechtigkeit-und-entschaedigung-fuer-afshin-seresti-arzt
In dieser Petition geht es um die Aufklärung des Falles, dass der Exil-Iraner und mittlerweile deutscher Staatsbürger Afshin Seresti zu Unrecht – offenbar aufgrund einer Verleumdung – vom Verfassungsschutz als islamistischer Terrorist eingestuft wurde und um eine angemessene Entschädigung für ihn. In dem von Andreas Klamm-Sabaot verfassten Petitionstext wird ein evangelischer Pfarrer erwähnt, dessen Name den Behörden zur Untersuchung bekannt sein soll, da er im Verdacht steht, für diese Verleumdung verantwortlich zu sein. Wie hier angedeutet wird, soll dieser Pfarrer Herrn Afshin Seresti eingeschüchtert haben, nachdem dieser bei einem Antrag auf ein Stipendium nicht die Frage nach seiner Religionszugehörigkeit beantworten wollte. Afshin Seresti selbst schildert dies in einem Text, der bis jetzt noch im Internet aufzufinden ist, so, dass von ihm erwartet wurde, eine voraussichtliche Zeit der Rückkehr in sein Heimatland zu nennen und eine Religionszugehörigkeit anzugeben. Als er daraufhin erklärt habe, dass ersteres nicht möglich sei, da er als politischer Flüchtling in Deutschland lebe und dass er außerdem keiner Religion angehöre, soll der besagte Pfarrer ausfällig geworden sein und ihn bedrängt haben, sich zum Islam zu bekennen. Als Seresti dieses weiter verweigerte, soll der Pfarrer ihm gedroht haben, ihn fertig zu machen und ihm dazu noch eine Fotokopie des Mitgliedsausweises der Flüchtlingsorganistation, für die Seresti sich engagierte, abgenötigt haben.
Nun wurde mir von den Anwälten dieses Pfarrers mitgeteilt, dass Afshin Seresti bereits im Jahre 2010 gerichtlich dazu verurteilt wurde, diese Behauptungen zu unterlassen, da sie unzutreffend seien. Es ist natürlich möglich, dass er dazu verurteilt werden konnte, weil er seine Behauptung nicht beweisen konnte. Jedoch fällt schon die erste Merkwürdigkeit auf, nämlich dass nach mehr als einem Jahr immer noch ein Text unter seinem Namen im Netz auffindbar ist, der ebendiese Anschuldigung namentlich enthält. Ich erhielt diese Information von den Anwälten des Pfarrers deswegen, weil ich den Rektor der Hochschule angeschrieben hatte, an der jener Pfarrer zur Zeit tätig ist, und diesem mein Entsetzen über den Fall zum Ausdruck gebracht hatte, vorausgesetzt, dass die mir bekannten Informationen stimmen. Alleine für diese E-Mail bekam ich anstatt einer direkten Antwort Post von der Anwaltskanzlei, die die Interessen des Pfarrers und der Hochschule wahrnimmt, mit der Aufforderung eine Erklärung zu unterschreiben, dass ich bestimmte Behauptungen über den Pfarrer in Zukunft unterlasse, bei Vertragsstrafe von 5000 Euro. Ich habe das so aufgefasst, dass mir bei einer Verweigerung dieser Unterlassungserklärung eine Unterlassungsklage drohen würde wie Afshin Seresti selbst. Ich halte es für einen Skandal, dass bereits das Stellen von Fragen unter Bezug auf öffentlich zugängliche Quellen mit Androhung von Sanktionen unterbunden wird, weil es eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte sei. Diese Verweigerung, zur Aufklärung des Falles beizutragen und mir gegebenenfalls meinen Irrtum nachzuweisen, spricht meines Erachtens nicht für die Glaubwürdigkeit dieser Seite. Meinen Blog-Artikel, der den Namen des Pfarrers und nähere Informationen enthielt, musste ich natürlich konsequenterweise löschen. Dabei war gar nicht dieser, sondern nur die E-Mail Gegenstand des Schreibens.
Fragwürdig erscheint mir der Sachverhalt, wie ihn die Anwaltskanzlei darstellt, weil erstens der Text weiter unter dem Namen von Afshin Seresti vorhanden ist – trotz dessen angeblicher Verurteilung, zweitens, weil es keine öffentliche Gegendarstellung im Sinne des Pfarrers gibt, so dass wer sich wie ich über den Fall informieren will in die Falle laufen muss, drittens, weil diese Herren gerade vor dem zuletzt benannten Hintergrund es vermeiden, mir persönlich zu antworten und zu den Vorwürfen Stellung zu nehme, sondern ohne Vorwarnung rechtliche Druckmittel einsetzen und versuchen mich dafür die Kosten tragen zu lassen. Das deutet sehr daraufhin, dass diese Herren die öffentliche Aufklärung der Sache scheuen, sondern vielmehr die Diskussion darüber zu unterbinden versuchen, also etwas zu verbergen haben. Zudem ist ja nach den zugänglichen Informationen nicht zu erkennen, welches Interesse Afshin Seresti haben sollte, sich so etwas auszudenken, wohl aber ist nachvollziehbar, dass die Gegenseite ein Interesse an der Vertuschung hat. Mir scheint dieses Vorgehen ein Versuch zu sein, die Aufklärung eines Falles zu behindern, um vor der Öffentlichkeit Gesicht zu wahren, ganz wie bei den Missbrauchsskandalen. Man stelle sich einmal vor, dass in solch einem Fall die mutmaßlichen Opfer und jeder, der darüber berichten will, mit Verleumdungsklagen und entsprechenden Erpressungen im Vorwege, eingeschüchtert werden. Daher ist nur zu hoffen, dass tatsächlich, wie aus dem Petitionstext hervorgeht, gegen den Pfarrer Ermittlungen laufen. Deswegen halte ich es für wichtig, dass der Fall aufgeklärt wird und fordere nochmals ausdrücklich auf, die Petition zu unterzeichnen:
II.
Meine Einschätzung
Es ist natürlich legitim, dass eine kirchliche Einrichtung, die für Stipendien zuständig ist, in erster Linie die eigenen Gläubigen bedenkt und auch, dass sie entsprechend ihrem Verständnis von Toleranz diese Gunst auch auf die Bekenner anderer Religionen, die sie für seriös hält, ausweitet. – Nur dies ist aus meiner Sicht schon eine fragwürdige Art von Toleranz, die aber typisch für die etablierten Kirchen ist, so auch bei der Einstellungspraxis in kirchlichen Krankenhäusern usw.. Denn wieso sollen gebürtige Muslime den Kirchen näher stehen als jemand, der aus welchen Gründen auch immer keine offizielle positive Zugehörigkeit zu etwas geltend machen kann? - Wenn es sich um Stipendien für ausländische Studierende handelt, ist es natürlich auch legitim, die Unterstützung an eine voraussehbare Heimkehr zu koppeln. Nur muss es eben möglich sein, diese Sachverhalte ohne Nötigungen und Beschimpfungen zu klären.
Nach Afshin Serestis Schilderung sieht es so aus, dass der Pfarrer entsetzt darüber war, dass ein Iraner sich nicht als Moslem bekennt und auch keine Rückkehr in den Iran plant. Letzteres nicht zu akzeptieren wäre angesichts des Regimes im Iran natürlich schon sehr unverschämt. Das erste würde auch schon von einer bornierten Einstellung zeugen, die sich aber sehr gut in die derzeitige Tendenz einfügen würde, wie über den Islam und über Migranten mit muslimischen Wurzeln geredet wird: nämlich die Tendenz, Menschen mit fremdkulturellen, eigentlich hauptsächlich die mit muslimischen Wurzeln, pauschal als Muslime zu klassifizieren, sie geradezu ungefragt als muslimische Gemeinschaft zu uniformieren. Daher leben nun angeblich bis zu vier Millionen Muslime in Deutschland, mit steigender Tendenz, obwohl nur ein geringer Teil von diesen einer islamischen Gemeinschaft angehört. Damit wird ohne große Diskussion das Selbstverständnis des Islam übernommen, nach dem alle die einen muslimischen Vater haben, automatisch Muslime sind. Die Menschen werden nicht als Individuen, sondern als Glieder von Kulturkreisen wahrgenommen. (Wie absurd dies ist, zeigt sich im Fall von Afshin Seresti ja auch daran, dass er mütterlicherseits jüdische Vorfahren hat, also nach dem Selbstverständnis des Judentums Jude ist und sonst, also väterlicherseits muslimische Vorfahren hat, also nach dem Selbstverständnis des Islam Moslem zu sein hat.) Mit dieser verzerrten Wahrnehmung lässt sich einerseits die fremdenfeindliche Stigmatisierung und Ausgrenzung der so klassifizierten Menschen betreiben und andererseits die Aufwertung des Islam als eine Religion, die zu Deutschland gehören soll, weil ihr ja ein so beträchtlicher Teil der Bevölkerung angehört.
Ebenso dient diese kollektive Formierung unter konfessionellem Vorzeichen der Affirmation einer kulturellen Identität: Indem die „Bürger mit Migrationshintergrund“ ungefragt auf die kulturelle und religiöse Identität ihrer Vorfahren festgelegt werden, soll es ihnen erschwert werden an der individualistischen säkularen Gesellschaft der westlichen Moderne teilzuhaben. Einerseits werden sie so für einen Teil der Meinungsmacher zur Projektionsfläche für Feindbilder geeignet gemacht, andererseits kann diese konfessionell legitimierte Uniformierung eines Bevölkerungsteils suggestiv dazu beitragen, die entsprechende Uniformierung der übrigen Bevölkerung zu betreiben. Denn wenn im öffentlichen Bewusstsein vier Millionen ungefragt Muslime sind, dann liegt es nahe, dass alle anderen auch ungefragt eine Konfession, vermittelt durch ihre Abstammung und eine nebulöse kulturelle Identität, haben. Da es mittlerweile offensichtlich ist, dass nicht jeder ethnische Deutsche automatisch als Christ zu klassifizieren ist, sondern Religion und Spiritualität immer mehr zu einer individuellen Angelegenheit werden, bietet es sich für konservative Politiker und Kirchenvertreter, die eben diesen Zustand beklagen, an, die formierte muslimische Gemeinschaft zu instrumentalisieren, um die Gesellschaft wieder im Sinne ihres Traditionschristentums zu formieren. Diese Instrumentalisierung kann sowohl negativ im Sinne eines Feindbildes erfolgen, wie es die offensichtlichen Reaktionäre machen, als auch positiv im Sinne eines Vorbildes, worauf es offenbar bei vielen angeblich progressiven Journalisten und Kirchenleuten hinaus läuft. Letztere sind sicher auch diejenigen, die es nicht gerne sehen, wenn die anti-emanzipatorischen Tendenzen in der islamischen Kultur thematisiert werden.
Ich halte es für naheliegend den besagten Pfarrer der letzteren Tendenz zuzuordnen. Wenn es dann auch noch stimmt, dass dieser von Afshin Seresti neben dem Bekenntnis zum Islam auch noch die Rückkehr in den Iran nach dem Studium erwartet hat, sieht es schon danach aus, dass ihm das iranische Regime als Vorbild erscheint, da es ja seine Bürger auf eine religiöse Identität festlegt. Betrachtet man die hier skizzierten Zusammenhänge, so ist zu erkennen, dass eine scheinbare oberflächliche Toleranz und Liberalität auch reaktionären Zielen dienen kann. Jedenfalls halten ja beide etablierten Kirchen daran fest, dass jeder als Kind Getaufte ungefragt als Mitglied vereinnahmt wird (und gegebenenfalls Kirchensteuern zahlen muss), sofern er nicht ausdrücklich austritt. Deswegen halten sie ja auch zum großen Teil am konfessionellen Religionsunterricht fest, damit die Identität mit dem angeborenen Bekenntnis gefestigt wird, auch wenn dies wie in Berlin und Brandenburg gar nicht mehr der gesellschaftlichen Realität entspricht. Wenn allerdings nicht der persönliche Glaube, sondern gesellschaftliche Konformität und Tradition ausschlaggebend für die Religionszugehörigkeit sind, hat man es letztendlich immer mit einer Instrumentalisierung von Glauben für politische und kulturelle Zwecke zu tun. Daher ist es letztlich zu begrüßen, dass die traditionellen Kirchen ihre Monopolstellung einbüßen, so dass jeder die Möglichkeit hat, ohne Konformitätsdruck seinem Gewissen zu folgen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen