In der auf einer eigentümlichen
Kombination von ordoliberalen und wertkonservativen Vorstellungen basierenden
Zeitschrift eigentümlich frei gab es kürzlich einen höchst aufschlussreichen
Artikel von ihrem Herausgeber André Lichtschlag:
„Das
ist der ausdrucksvolle Name einer feministischen Punk-Combo, bestehend aus etwa
zehn jungen Damen, die seit Jahren keiner geregelten Arbeit nachgehen. Von wem
sie wofür finanziert wurden und werden, darüber gibt es nur Spekulationen.“
Zunächst mal steht es in einer liberalen Ordnung ja wohl jedem frei, sich von wem auch immer für welche auch immer propagandistische Tätigkeit bezahlen zu lassen und auch über die Identität der Unterstützer zu schweigen. Es ist also höchst entlarvend, dass ausgerechnet Herr Lichtschlag sich an dieser Tatsache stört. Würde er diese Steilvorlage nicht liefern, wäre ich jedenfalls nicht auf den Gedanken gekommen, die Frage aufzuwerfen, wer denn sein publizistisches Leben finanziert. Dass der Erlös aus dem Verkauf seiner dubiosen Zeitschrift zum Leben reicht, scheint mir jedenfalls sehr unwahrscheinlich.
Hier wird explizit die Verschwörungstheorie ausgesprochen, dass Pussy Riot von
George Soros´ Open Society Foundations unterstützt werden, die allgemein die
freiheitlichen Bestrebungen in Osteuropa unterstützen. Dagegen kann ja
eigentlich auch nichts einzuwenden haben, wer die Idee einer weltweiten offenen
Gesellschaft bejaht. Deswegen ist es interessant, dass der Argwohn aus einem
Milieu kommt, das wie PI und
wesentlich auch ef das Image pflegt,
prowestlich und liberal zu sein.
„Die
Feinde unserer Frontorgane grüßen denn auch in schöner Regelmäßigkeit
abwechselnd vom „Spiegel“-Cover: Die modernen Teufel heißen Wladimir Putin,
Mahmud Ahmadinedschad und Papst Benedikt XVI. Vielleicht muss man Recep Tayyip
Erdogan dazuzählen. Es sind jene letzten Widerständler, die sich der haltelosen
Hegemonie und der schönen neuen einen Welt – tatsächlich einem heraufziehenden
Weltstaatsmonstrum – noch widersetzen.“
Das sagt nun einiges:
Da ist es schon eine Kuriosität, dass ausgerechnet PI so einen Artikel zustimmend –natürlich ohne diese Passage- zitiert, obwohl Lichtschlag weder hier noch bisher etwas mit Islamkritik, weder der ernsthaften noch der vorgeschobenen, im Sinn hatte. Wie sich rechtskonservative Antimodernisten zum Islam verhalten, ist eine sekundäre Frage. Für die einen wie PI geht es mehr darum, dass die Anwesenheit von Muslimen die eigene kulturelle Identität bedroht. Was Muslime in ihrem „eigenen“ Terrain machen, interessiert die oft schon viel weniger. Das Wort „Kritik“ ist für diese Pseudo-Islamkritik ohnehin eine Begriffsverfälschung, da Kritik darauf abzielt die Kritisierten zu überzeugen. Den Pseudo-Islamkritikern geht es aber nur darum Muslime aus der westlichen Welt rauszuhalten, wobei die religiöse Begründung dabei nur eine neben der ökonomischen und eugenischen ist. Ganz frei heraus sagt dies Manfred Kleine-Hartlage, der den Menschen grundsätzlich zumindest unbewusst durch seine kulturelle Herkunft determiniert sieht. Muslime würden daher gar nicht anders können als Dschihad gegen die Ungläubigen zu führen. (http://korrektheiten.com/dschihad-system-islam/) Daher seien jegliche Integrationsbemühungen zum Scheitern verurteilt und überhaupt die globale Zusammenführung der Menschen nur ein totalitäres Experiment, weshalb er sich demgegenüber als Verteidiger der offenen Gesellschaft sieht (http://korrektheiten.com/uber-mich/politische-ausrichtung/) Deswegen begrüßt auch er enthusiastisch den obigen Artikel von André Lichtschlag, ungeachtet dessen unverhohlerner Sympathie auch für Ahmadinedschad. Denn Religionskritik ist für ihn natürlich verwerflich, da sie die eigene Kultur schwächt. Immerhin verhehlt er nicht, dass er den Islam keineswegs wegen dessen Vorbehalte gegen die Moderne „kritisiert“, da seine eigentliche Ablehnung der Säkularisierung und Globalisierung gilt, die erst die weltweite Migration und Auflösung der kulturellen Identität des Abendlandes ermöglicht. Für die andere Gruppe der Antimodernisten wie Lichtschlag geht es mehr darum, dass Islam(ismus) wie auch andere autoritäre Traditionen ein Verbündeter für den Erhalt kultureller Identitäten und Traditionen überhaupt gegen die verhasste Moderne ist. Während die Verschwörungstheorie von Manfred Kleine-Hartlage, Michael Mannheimer usw. davon ausgeht, dass der Islam von der globalen Elite begünstigt wird, um die weltweite Vermischung zu beschleunigen, geht die libertäre Fraktion der Antimodernisten – wohl eher zutreffend - davon aus, dass alle traditionellen Religionen ein Hindernis für die globalisierte Weltgesellschaft sind.
Dass unter Umständen vielmehr der Staat
einen Schutz gegen Familie und Religion bietet, siehe Recht auf religiöse „Erziehung“
etc., passt eben nicht in das vernagelte Weltbild André Lichtschlags. Nichtsdestotrotz
ist ihm das Monstrum „Staat“ wieder gut genug, den Protest gegen jenen
traditionalistischen Widerstand gegen die Moderne abzuwehren. Denn der Hintergrund
ist immerhin, dass die russisch-orthodoxe Kirche sich eng mit Putin, der
weltlichen Macht, verbunden hat. Eines von Lichtschlags Leitmotiven ist die
Bewahrung der Religion als Rückzugsraum und Gegengewicht gegenüber der
Allgegenwart des Staates. Aber das Problem ist ja nun, dass es sich bei der Russisch-Orthodoxen
Kirche nun gerade um eine staatsnahe Kirche handelt, die sich als
Machtinstrument für Putin hergibt. Die Staatsskepsis ist diesen konservativen
Libertären nur ein Vorwand, um ihr Ressentiment gegen die modernkulturelle und
globalisierte Welt zu rationalisieren. Wenn
die Gleichbehandlung und der Schutz der Homosexuellen vor Diskriminierung jetzt
durch staatliche Maßnahmen erzwungen werden, so ist das, soweit es zutrifft,
wohl problematisch, aber kann nicht von dem Hintergrund getrennt werden, dass
dies nur eine Reaktion auf deren jahrhundertelange Diskriminierung durch die
religiösen Institutionen ist. Ich halte es ja an sich für richtig, dass der
Staat sich nicht in das private und religiöse Leben der Bürger einmischen soll,
aber das setzt voraus, dass Religionen auch nicht vom Staat begünstigt werden
und sich keine direkte Einflussnahme auf den Staat anmaßen. Die andere
Voraussetzung ist, dass die Freiwilligkeit jeder Religionszugehörigkeit
gewährleistet ist. Sonst ist jegliches Jammern über einen religionsfeindlichen
Staat nicht zu rechtfertigen.
Sehr signifikant lässt sich z.B. auch bei
der Leugnung des Klimawandels eine Übereinstimmung zwischen dem antiwestlichen
Lager der Anti-NWO-Verschwörungstheoretiker, zu denen man nun auch André
Lichtschlag rechnen muss und den scheinbar pro-westlichen Neokonservativen feststellen.
Auch sonst sind sich beide in ihrer Ablehnung der Aufklärung und Moderne einig.
Die angeblich pro-amerikanischen Reaktionäre meinen nur die
libertär-konservative Seite Amerikas, nicht die kulturellmoderne. Die
prowestlichen angeblichen Verteidiger der offenen Gesellschaft haben nicht die
Verteidigung der westlichen Moderne, sondern der westlichen Vormoderne im Sinn.
Das was den „Westen“ tatsächlich einzigartig macht, nämlich die Etablierung von
Kritik auch der eigenen Gesellschaft und die Säkularisierung wird gerade von
ihnen abgelehnt. Die Achse des Guten, wortgewaltig, wenn es
um die USA und Israel gegen die islamische Welt geht, äußert zu diesem Fall auffälliger
Weise nichts Substanzielles, sondern nur Plattitüden, die sich eher über das
Thema als solches lustig machen. Wer das Image pflegt, die offene Gesellschaft
zu verteidigen, aber in diesem Fall keine solidarischen Worte für die
Angeklagten äußert, macht sich höchst unglaubwürdig. Dass es denen eigentlich
keineswegs um den Vorrang der Aufklärung gegenüber religiöser Tradition und
kultureller Identität geht, hat zuletzt schon hinreichend der jüdische
Glaubenseiferer und Antimodernist Hannes Stein bei der Beschneidungsdebatte
gezeigt, flankiert von Broders Plattitüden. Jene vorgebliche Haltung dient nur
als Vorwand, um bedingungsloses Eintreten für die Interessen Israels und der
USA zu propagieren. Deswegen lieben die Pseudo-Liberalen Israel besonders, einen
Staat, in dem Eheschließungen nur innerhalb einer Religionsgemeinschaft möglich
sind. PI und die Achse des Guten können anknüpfend an die Linie des Springer-Verlages
das Bild vermitteln, dass sie Israel als Vorposten der modernen Westens
verteidigen, in Wirklichkeit verteidigen sie es, weil es gerade eine Kraft ist,
die sich der weltweiten Vermischung und der globalisierten offenen Gesellschaft
widersetzt, also der fortschrittlichen Seite des Westens entgegensteht. Darin
unterscheiden sie sich dann wesentlich von den antisemitischen
Verschwörungstheoretikern, die davon ausgehen, dass die Juden, so wie George
Soros als Person mit seinem Stiftungsvermögen, die weltweite kulturelle und
rassische Vermischung und Auflösung fördern, damit sie als einziges Volk ihre
Identität bewahren, um über die übrige Menschheit zu herrschen.
Mein Lieblingszitat in dem Zusammenhang
ist „Wir werden zu einer Weltregierung kommen, ob Sie dies mögen oder nicht. Die
Frage ist nur, ob durch Unterwerfung oder Übereinkunft.“
(zurückgehend auf den Bankier James
Warburg am 17.02.1950 und gerne von antiglobalistischen
Verschwörungstheoretikern zitiert.) Unsere technisch und ökonomisch
globalisierte Welt wird eine immer weiter gehende Vermischung und Angleichung
mit sich bringen, so dass auch immer mehr eine globale Koordinierung
erforderlich ist. Obgleich sich dieser Prozess nicht aufhalten lässt, so hat es
doch eine Bedeutung, wie sich weite Teile der Menschheit zu ihm stellen.
Entscheidend ist, ob Menschen ihrer zukünftigen Einigung und damit verbunden
ihrer Herauslösung aus den traditionellen Strukturen mit Freude entgegen gehen
und dann gemeinsam die künftige Weltgesellschaft gestalten oder ob Teile der
Menschheit sich an ihre partikularen Traditionen klammern und sich dem Prozess
entgegenstellen werden, was dann, da es ihnen nicht gelingen wird, zur Folge
haben wird, dass eine globale Elite oder gar eine bestimmte Nation ihnen diese
Veränderung aufzwingt.
Es ist äußerst rätselhaft, was es mit
den „religiösen Gefühlen“ auf sich hat, die immer wieder als Rechtfertigung für
aggressive Reaktionen auf blasphemische Äußerungen und für Gesetze, die solche
verbieten, angeführt werden. Der naheliegende Einwand der Vernunft ist
natürlich, dass ein souveräner Gott selbst mit seinen Widersachern fertig wird.
Dieser verfängt offenbar bei den Gefühlsreligiösen nicht. Das Problem ist, dass
es sich um einen anerzogenen Glauben handelt, der nicht persönlich
nachvollzogen ist, der nicht, jedenfalls nicht ursprünglich, wegen seines
Inhalts, der Wahrheit seiner Lehre, geglaubt
wird, sondern wegen seiner identitätsstiftenden Funktion, wegen der damit
verbundenen Kindheitserinnerungen, der gemeinschafts- und staatsbildenden
Kraft, also vorrationale Implikationen, die nicht diskutierbar sind. Es wird offenbar ein Gefühl verletzt, von dem
der Betreffende nicht genau weiß, was es ist, das aber wahrscheinlich dieses Gefühl der Identität mit der
Gemeinschaft und der Herkunft meint. Weil die Betreffenden ahnen, dass es ihnen
eigentlich darum und nicht um eine metaphysische Lehre geht, sie sich aber
nicht damit auseinandersetzen wollen, reagieren sie vermutlich so gereizt und
verlangen nach einer Tabuisierung und möglichst nach einem staatlichen Verbot
von Provokationen ihrer Gefühle. Je größer die Rolle einer traditionellen
Religion für die soziale Identität in einer Gesellschaft ist, desto wirksamer
ist dieses Tabu und umso rigoroser seine amtliche Durchsetzung. Daher ist diese
Frömmigkeit auch auf äußere Handlungen und Orte fixiert, mit denen sich solche
Gefühle assoziieren lassen. Werden diese lächerlich gemacht, bleibt für solche
Scheingläubigen nichts Substanzielles mehr übrig. Dass es nicht um die Wahrheit
einer metaphysischen Lehre geht, ist daher offensichtlich, weil einer wahren
Erkenntnis kein Schaden durch die Kritik oder den Spott derjenigen erwachsen
könnte, die nicht über sie verfügen. Sobald eine Glaubensrichtung aber auf
Zwangsmittel des Staates setzt, um sich Geltung zu verschaffen, ist dies eben
schon ein Zeichen von Schwäche der eigenen Dogmatik oder davon, dass es den
Gläubigen nicht um die Wahrheitserkenntnis um ihrer selbst willen geht, sondern
mehr um die beschriebenen gefühlhaften Assoziationen. Da es hauptsächlich um
die Stiftung sozialer Identität geht, ist auch die Verbindung der Religion mit
dem Staat so wichtig. Diejenigen, die den Respekt vor dem Heiligen per Gesetz
einfordern wollen, sehen meistens auch die Religion vor allem funktional als
Garant der öffentlichen Ordnung. (daher ist nach unserer Gesetzeslage ja auch
die Gefährdung des öffentlichen Friedens das maßgebende Kriterium, der aber ja
in Wirklichkeit durch die unberechenbaren Reaktionen der Beleidigten gefährdet
wird.) Es findet eine gegenseitige Begünstigung statt: die Kirche stützt die
Machthaber, die orthodoxe Kirche Putin, also stützt der Staat die Kirche als
seinen Sinnstifter und Garant für die kollektive Identität. Eine Kirche, die sich zum ideologischen und
sentimentalen Aufputz für den Staat und eine marode Gesellschaftsordnung macht,
ist dann auch nicht mehr christlich in dem Sinne, dass sie nicht von dieser
Welt wäre, sondern sie ist von dieser Welt und kann sich nicht redlicher Weise
gegen die Kritik dagegen immunisieren, indem sie die Religion als geschützten
Bereich reklamiert. Je mehr eine Kirche sich zur Stütze der Gesellschaft macht,
desto mehr muss sie es sich gefallen lassen als solche angegriffen zu werden. Denn
mit ihrem eigentlichen Anliegen ist sie auf diese Weise für die ernsthaft
Suchenden nicht glaubwürdig. Deswegen geht es auch in die Irre, wenn André
Lichtschlag in der Zurückdrängung der Religion aus dem öffentlichen in den
persönlichen Bereich, wie sie im Westen stattfindet, einen Angriff auf eine der
letzten staatsunabhängigen Institutionen sieht.
Freiheit bedeutet für Lichtschlag und
sein libertär-konservatives Lager, dass traditionelle religiöse und kulturelle
Identitäten unangetastet bleiben. Die kulturellmodernen Bestrebungen, die ihnen
im Zeichen individueller Freiheit entgegenwirken, werden dann als
freiheitsfeindlich und gar als totalitär wahrgenommen. Dies ist aber ein
partikulares kollektives Verständnis von Freiheit. Dies hätte zum Ergebnis
keine weltweite offene Gesellschaft, sondern ein Nebeneinander von
geschlossenen Gesellschaften. Im Sinne von individueller Freiheit ist es
dagegen wohl eher, wenn in einer globalen Weltgesellschaft diese traditionellen
Bindungen an Macht verlieren.
In der Publikation eigentümlich frei
nimmt der Kampf gegen Feminismus, Gender Mainstreaming und die Homosexuellenlobby
auf ganz merkwürdige Weise einen breiten Raum ein. Es scheint, dass Lichtschlag
und einige seiner Gesinnungsgenossen geradezu besessen sind von der Angst, dass
diese Bewegungen ihre heile Welt zerstören und irgendwann verbieten könnten,
nach traditionellen Vorstellungen zu leben. Nur so ist es überhaupt
verständlich, dass gerade autoritäre Traditionen und Staaten Horte der
Freiheit sein sollen. Deswegen hebt der
Artikel so sehr darauf ab, dass es bei Pussy Riot in der Tat auch um
Homosexualität und Feminismus geht, nämlich weil die Ausgrenzung von
Homosexuellen und die Dominanz traditioneller Geschlechterrollen in der
russischen Gesellschaft im Unterschied zum Westen noch stark verankert
sind. Es ist ganz offensichtlich, dass
André Lichtschlags Anliegen mit eigentümlich frei ein kulturell
konservatives ist und der dogmatische Liberalismus dafür als Instrument dient.
Zum Glück wird diese Ausrichtung auch im dogmatisch-liberalen Spektrum
keineswegs geteilt, wie man hier
und hier sehen kann. Im
letzteren Artikel wird auch gezeigt, dass Pussy Riot sich keineswegs in
Deutschland ebenso strafbar gemacht hätte.
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