Dienstag, 16. Februar 2016

Konservative Revolte

Liane Bednarz hat in der FAZ einen lesenswerten Artikel über ein bestimmtes Milieu rechtskonservativer fundamentalistischer Christen geschrieben, der die Betroffenen entsprechend geärgert hat, wozu man einiges noch ergänzend sagen kann:
 
Insbesondere das Motiv bei diesen rechten Christen, dass das im Grundgesetz verankerte Widerstandsrecht angesichts neuerer Entwicklungen greifen würde, ist interessant, zumal es einen solchen Aufruf ja auch schon einmal bei einem gewissen Michael Mannheimer gab. Siehe hier. Man kann diese Gedankenwelt sehr gut bei dem Internetmagazin Freie Welt, das von der Zivilen Koalition unter dem Vorsitz von Beatrix von Storch betrieben wird, nachverfolgen:
Entweder ist es die angebliche Islamisierung oder eine Umerziehung durch die Gender-Ideologie oder einfach die Zurückdrängung von Religion und Familie durch den säkularen Staat, was in den anderen europäischen Ländern viel weiter fortgeschritten ist. Für den slowakischen Politiker Vladimir Palko ist die Tatsache, dass Sterbehilfe, Abtreibung und Homosexualität möglich sind, ein Zeichen dass die EU quasi von Kommunisten regiert wird. Überhaupt werden Politiker und Journalisten, die weniger reaktionär sind, als Linke betitelt. Alles Kosmopolitische, Globalistische und Säkulare ist in diesem Paradigma eben links. Obwohl Leute aus diesem Milieu genau diese Ansichten auch in angesehenen Magazinen wie dem Focus, dem European und Cicero veröffentlichen, sehen sie ständig ihre Meinungsfreiheit bedroht, eigentlich nur weil sie mit ihren Ansichten nicht mehr tonangebend sind.  Ob es aber mit der Meinungsfreiheit besser wäre, wenn dieses Milieu tonangebend wäre, bezweifle ich. Denn in den letzten Jahren gab es ja von konservativen Christen durchaus Forderungen den §166 Stgb, der eigentlich sowieso ein Unding ist, wieder zu verschärfen. Auch las ich gerade, dass die Evangelische Allianz schon mal „Wahlprüfsteine“ an Politiker verschickt hat, d.h. Fragen an Politiker, deren Antworten sie für ihre Anhänger zur Beurteilung ihrer Wählbarkeit veröffentlicht hat. Darunter auch: „Sind Sie bereit, die Propagierung familienzerstörender Elemente in den Medien gegebenenfalls auch durch gesetzliche Schutzmaßnahmen zu vermindern bzw. zu verhindern?“ und in Bezug auf die Gotteslästerung. „Sind Sie bereit, insoweit die Freiheit zur öffentlichen Meinungsäußerung einzugrenzen?“ (Oda Lambrecht, Christian Baars: Mission Gottesreich S. 170) Überhaupt muss man sich klarmachen, dass die Meinungsfreiheit anderer Richtungen, gerade von Atheisten und Linken, den konservativen Christen in der Vergangenheit kaum ein Anliegen war. Die katholische Kirche erkennt immerhin erst seit dem Zweiten Vatikanum vorbehaltlos den weltanschaulich neutralen Staat und die Meinungsfreiheit an.
Man denke auch an Hans Milch, eine Gründungsfigur der Piusbruderschaft in Deutschland. Dieser erklärte das 20. Jhd. für eine finstere Zeit, weil Mehrheit, Mode, Masse, Meinung nur Manifestationen des Nichts seien, so in jener berüchtigten Predigt, die von der Rechtsrockband Von Thronstahl verwendet wurde. Dies deutet darauf hin, dass für einen echten fundamentalistischen Christen es schon schlimm genug ist, dass seine „Meinung“ nur eine von vielen ist. Die Pluralität als solche gilt als postmoderner Relativismus. Aber solange sie selbst Teil einer breiten Meinungsvielfalt sind, bedienen sie sich selbst der Sprache dieses finsteren demokratischen Zeitalters und bringen so kuriose Schlagworte hervor wie „reflektierte Heteronormativität“. Mach einer wird vielleicht sagen, dass er sich diese extreme Sicht wie bei Hans Milch nicht zu Eigen macht. Jedoch läuft das Gesamtbild darauf hinaus. Denn wenn man glaubt die absolute Wahrheit zu besitzen und gewisse Moralvorstellungen sogar als notwendig für den Bestand der Gesellschaft ansieht, dann muss es wirklich eine Kränkung und subjektiv eine Einschränkung der Meinungsfreiheit sein, wenn man von den tonangebenden Meinungsmachern harschen Widerspruch erfährt und von den politischen Entscheidungsträgern ignoriert wird. Anders kann ich mir jedenfalls das Gejammer über die angebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit nicht erklären, denn diese Leute wissen natürlich, dass es keine Zensur gibt und dass die Inhaber großer Medien in erster Linie von ihrer eigenen Meinungsfreiheit Gebrauch machen und manche, aber längst nicht alle (s.o.), sie daher auf hintere Plätze verweisen.
Nach der Veröffentlichung von Liane Bednarz´ Artikel gab es auf  der Freien Welt wütende geifernde Reaktionen. Bärbel Fischer leistet sich gleich den Fauxpas, dass sie Liane Bednarz, die sich als liberalkonservativ versteht und der Konrad-Adenauer-Stiftung nahesteht, ganz selbstverständlich als linke Journalistin betitelt und ihr entsprechende Vorhaltungen macht, einfach nur aus der Gewohnheit heraus, alles was näher am „Mainstream“ als an der eigenen religiös reaktionären Haltung steht als „links“ anzusehen.
Es ist natürlich ziemlich sicher, dass ein solcher Putschversuch keine Aussicht auf Erfolg hätte. Man muss und kann sich aber vorstellen, worauf ein solcher Staatsstreich hinauslaufen würde. Wenn diese Kreise von dem totalen Staat sprechen, der immer mehr die natürlich gewachsenen Institutionen der Familie, des Privateigentums und der Religion verdrängt, um eine viel größere Tyrannei auszuüben, als es diese jemals getan hätten, dann fürchten sie den säkularen Staat, der ihre religiösen Institutionen daran hindert die totale Herrschaft über das soziale und kulturelle Leben auszuüben. Die Diktaturen in Spanien, Portugal und Lateinamerika im 20.Jahrhundert liefen genau darauf hinaus, Familie, Privateigentum und Kirche zu schützen vor dem Zugriff eines laizistischen und sozialdemokratischen Staates ebenso wie vor einer sozialistischen Revolution. Die natürlich gewachsenen Institutionen hatten in solcher Art Diktaturen, die auch aus neutraler Perspektive als autoritär statt totalitär bezeichnet werden, in der Tat sehr viel Freiheiten, die Repression gegen die politische Opposition war dagegen gnadenlos. Dass beides sehr gut Hand in Hand geht sieht man an so einem Phänomen wie der Colonia Dignidad in Chile. Unser aus der Sicht der Anhänger der Freien Welt totalitärer sozialistischer Staat lässt es dagegen nicht zu, dass solche „autonomen Gemeinschaften“ wie etwa jene berüchtigten Zwölf Stämme sich auf die Unverletzlichkeit der Familie und des Privateigentums berufen können, wenn ihre biblisch begründeten Erziehungsvorstellungen unsern zum Glück von der biblischen Norm entfernten Gesetzen widersprechen
Allerdings sollten solche militanten Christen, die ernsthaft an Widerstand gegen die jetzige Staatsgewalt denken, sich klarmachen, dass es nach einem missglückten Putschversuch tatsächlich mit der Meinungsfreiheit eng wird. Dann wäre womöglich mit Generalverdacht und Radikalenerlass wie einst gegen die radikale Linke gegen konservative Christen zu rechnen. Dann wäre sehr wahrscheinlich die Situation da, die manche jetzt schon für gegeben halten und manche würden wohl dann erst den Unterschied zwischen bloßem Nicht-Herrschen und Unterdrückt-Sein merken

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