Mittwoch, 14. April 2010

Die neue Inquisition und der Rassismusvorwurf gegen die Anthroposophie

Im Sommer 2007 untersuchte die "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien" damals auf Drängen des Bundesfamilienministeriums, ob zwei Bände der Gesamtausgabe von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie und der Waldorfschulen, auf den "Index der
jugendgefährdenden Schriften“ kommen sollen. Dabei handelt es sich um zwei
Vortragsreihen von 1908 und 1910, in denen der Begriff "Rasse" in für heute
missverständlicher Weise verwendet wird. Diesem Sachverhalt geht eine jahrelange
Hetze bestimmter, vor allem extrem linker Kreise, voraus, die auf Zitaten Rudolf
Steiners aufbaut, die dafür stark aus dem Zusammenhang gerissen werden, um der
Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild von der Anthroposophie und eine Diskreditierung
der Waldorfpädagogik zu präsentieren - hinzu kommt noch die diffamierende
Tätigkeit mancher kirchlichen "Sektenbeauftragten". Das Bundesfamilienministerium hat nämlich auch nicht, wie es zunächst schien, von sich aus den Indizierungsantrag gestellt, sondern auf Anraten von zwei "besorgten Bürgern", von denen einer der evangelische Sektenbeauftragte Thomas Gandow war:


http://www.waldorf.net/html/aktuell/indexierungsverfahren.htm

http://www.waldorf.net/html/aktuell/humboldt/index.html

In Wirklichkeit geht es in den beanstandeten Texten gar nicht um Rassen im biologischen Sinne, sondern um Kulturepochen.
Davon abgesehen kann die Jugendgefährdung nur ein Vorwand sein. Denn kaum ein
Jugendlicher wird diese Texte lesen und erst recht nicht in dem unterstellten Sinne
verstehen. Die Anthroposophie und die Waldorfschulen sind in Wirklichkeit weit davon entfernt, rassistisches Denken und Gewalttaten zu begünstigen. Der Index der
jugendgefährdenden Schriften wird hier als Mittel gebraucht (wenn er nicht ohnehin
schon nichts anderes ist), um eine religiöse weltanschauliche Strömung zu
schädigen, da es in Deutschland nun mal offiziell nicht möglich ist, Bücher zu
verbieten.

Zum Glück wurde der Indizierungsantrag abgelehnt. Der betroffene Verlag hat sich daraufhin selbst verpflichtet zukünftig eine kommentierte Ausgabe herauszugeben, die auf diese Problematik eingeht. Die „besorgten Bürger“ waren aber insofern erfolgreich, als sie in der Öffentlichkeit misstrauische Aufmerksamkeit auf Anthroposophie und Waldorfpädagogik lenkten. Der Herr Andreas Lichte, der in den verlinkten Artikeln als Assistent des Sektenbeauftragten Thomas Gandow genannt wurde, engagiert sich seit er eine Waldorflehrerausbildung abgebrochen hat, die er offenbar begonnen hat, ohne im Geringsten zu wissen, auf welche Weltanschauung er sich einlässt, als Kronzeuge gegen Waldorfpädagogik und Anthroposophie, wie man schnell nachrecherchieren kann. Nach meiner Einschätzung greift er dabei auch zu der bei der ganzen Diskussion um Sekten beliebten Methode, anonyme Aussteiger als Zeugen zu präsentieren, was als solches immer fragwürdig ist, da man es nicht nachprüfen kann; z.B. hier:
http://www.ruhrbarone.de/wie-gut-sind-waldorfschulen/



Insgesamt gehört diese Auseinandersetzung um die Anerkennung anthroposophischer Pädagogik in den Kontext der Diskussion um vom Mainstream abweichende Weltanschauungen im Allgemeinen, wo immer schnell der Sektenvorwurf parat ist.
Ich verweise auch auf die Bücher „Die neue Inquisition“ von Hubertus Mynarek und „Die neuen Inquisitoren“ von Gerhard Besier und Erwin K. Scheuch.
Man beachte auch, was der Anthroposoph und Rechtsprofessor Martin Kriele schreibt:
http://www.dalank.de/archiv/kriele.html

Wer solche Meinungen vertritt, wird dann besonders im Zusammenhang mit der Scientology-Sekte der Komplizenschaft verdächtigt, was eben auch zeigt, dass in diesem Bereich subtile Hetze statt differenzierter Debatte stattfindet.
Denn das ist ja gerade das interessante: was der Scientology jetzt an verwerflichen Zielen vorgeworfen wird - Unterwanderung der Gesellschaft und Errichtung eines totalitären Herrschaftssystems, genau das wurde ja von der katholischen Kirche und vom Islam in der Vergangenheit erreicht, nur macht man sich das im ersten Fall heute nicht mehr so deutlich klar, weil ihre totalitäre Herrschaft seit der Reformation und stärker noch seit der Aufklärung am Bröckeln ist.
Folgerichtig lehnte die katholische Kirche noch offiziell bis zum Zweiten Vaticanum Glaubens- und Gewissensfreiheit ab, weil ein Recht auf freie Meinungsäußerung ja auch ein Recht auf Lügen beinhalte - und als Lüge galt natürlich alles, was der katholischen Kirchenlehre widerspricht.
Wie sehr erinnert diese Art der Argumentation doch an die heutigen deutschen Verbotsforderungen aller Art! Es ist eben für viele nur schwer begreiflich, dass Demokratie auch das Recht beinhaltet Ansichten zu vertreten, die der Mehrheit oder dem „normalen“ Denken oder auch der Idee der Demokratie selbst widersprechen. Verbote kann es in einer Demokratie also nur geben, wenn eine Organisation konkret gegen geltendes Recht verstößt.
In Deutschland herrscht nun im Gegensatz zu anderen westlichen Ländern – aufgrund der geschichtlichen Entwicklung – heute ein Demokratieverständnis, das nur denjenigen demokratische Freiheitsrechte zugesteht, die die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ als eine Art Glaubensbekenntnis unterschreiben können.

Zur Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit gehört nun mal, dass auch Dinge vertreten werden dürfen, die einem nicht gefallen und nicht mit den allgemeinen Wertvorstellungen konform gehen. So wird es ja auch in den ach so mittelalterlichen und bitterbösen USA verstanden und gehandhabt. Das führt dann in Deutschland zu den skurrilen Demonstrationen, wenn ein neuer Film mit Tom Cruise in die Kinos kommt. Der Islam ist ja schließlich auch nicht verboten, obwohl er noch ganz andere menschenverachtende Inhalte hat außer dass er das christliche Gottesbild in Frage stellt. Es ist legitim und wohl auch angemessen, dass christliche Kirchen die Lehren der Scientology massiv hinterfragen, nur muss dies eben mit demokratischen Mitteln geschehen.
Anders verhält es sich meines Wissens mit der Frage des Parteienverbots, da das Grundgesetz diese Möglichkeit zulässt. Aber ich denke, das ist auch ein deutscher Sonderfall, der seinen Grund in der Nachkriegsordnung hat, um einer Situation wie in der Weimarer Republik vorzubeugen. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass man in Frankreich versucht hätte oder es überhaupt möglich wäre den Front National zu verbieten.

Insgesamt ist das Phänomen, die Demokratie mit undemokratischen Methoden verteidigen zu wollen, ein typisches Phänomen des deutschen Sonderweges, da dieses Volk seine Demokratie nicht selbst erkämpft hat, sondern sie ihm von außen aufgezwungen wurde.

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