Mit diesem Urteil ist eine weitreichende
Entscheidung getroffen, die dazu beiträgt, die Frage ins Bewusstsein zu rücken,
ob Religionszugehörigkeit von der Herkunft abhängt oder eine individuelle
Entscheidung ist. Die Beschneidung als irreversibler körperlicher Eingriff
steht eher der Transparenz und Individualität der Religionszugehörigkeit entgegen.
Es wäre demnächst generell zu fragen, ob Eltern überhaupt ihren Kindern ihre
eigene Religionszugehörigkeit bei der
Geburt aufprägen können oder ob die Mitgliedschaft in einer
Religionsgemeinschaft nicht ohnehin erst mit der Religionsmündigkeit möglich
sein sollte. Da wir uns mittlerweile wieder daran gewöhnt haben, die
Bevölkerung nach Religionsgruppen einzuteilen, obwohl tatsächliche
Religionsüberzeugungen oder gar deren Ausübung nur für einen kleinen
Bevölkerungsteil überhaupt eine wichtige Rolle spielt, ist dies allemal ein
Lichtblick auf dem Weg zu einer wirklich offenen Gesellschaft.* Denn es macht
einen Unterschied, ob die Religionszugehörigkeit als ein Schicksal begriffen
wird, das man sein Leben lang trägt, unabhängig von seiner eigenen Überzeugung
oder ob es sich um eine individuelle Überzeugung handelt, die eigentlich auch
niemanden sonst etwas angehen muss, weder die Familie noch den Staat. Die
Festlegung auf eine Religionszugehörigkeit von Geburt an, fördert außerdem die
Ghettoisierung.