Seit einigen Jahren wird darüber diskutiert, ob das Tanzverbot an Karfreitag abgeschafft werden sollte. Das wäre auch sehr vernünftig, da der Feiertag als christlicher Feiertag nur von einem Teil, vermutlich nur einem kleineren Teil der Gesellschaft begangen wird. Diejenigen, die den Karfreitag in diesem Sinne feiern wollen, werden nicht dadurch eingeschränkt, dass andere dies nicht tun und ihn schlicht als arbeitsfreien Tag wie jeden anderen behandeln. Wohl aber werden die letzteren in ihrer Freiheit durch das Tanz- oder allgemein Vergnügungsverbot in ihrer Freiheit eingeschränkt.
Eigentlich könnte es so einfach sein,
aber dennoch fühlen sich einige Kirchenchristen wieder typischerweise durch das
mögliche Wegfallen eines Privilegs in ihrer Religionsfreiheit bedroht. Den
Vogel schoss hier ausgerechnet Publik-Forum
die „Zeitung kritischer Christen“ ab, mit einem Text, in dem es als Zeichen von
Toleranz bezeichnet wurde, ein solches Verbot zu respektieren, demnach also
diejenigen, die gegen das Verbot, auch mittels dessen demonstrativer
Übertretung, protestiert haben, intolerant seien.
Der Begriff Toleranz bedeutete von
seinem Ursprung her jedoch nicht das Erdulden von Verboten der Obrigkeit,
sondern den Verzicht der Obrigkeit auf Verbote, die nicht im Interesse der
Allgemeinheit sind. Durch eine Aufhebung des Tanzverbots am Karfreitag gäbe es
keine Beeinträchtigung der Gläubigen, wohl aber ist das Verbot selbst eine
Beeinträchtigung der anderen. Die Frage der Toleranz kann sich also nicht für
die abschätzig so genannte Spaßgesellschaft stellen, sondern für die Vertreter
der bisherigen Mehrheitsreligion und mehr noch für den Staat, der gerade in
Deutschland mit den institutionellen Kirchen verbunden ist. Der Begriff der
Toleranz, wie er seit der Aufklärung im öffentlichen Diskurs besteht, meinte
ursprünglich eben gerade nicht, dass die Nichtgläubigen und Andersgläubigen die
Dominanz der Mehrheitsreligion und deren Möglichkeit zur Durchsetzung von
Privilegien zu erdulden haben, sondern im Gegenteil, dass die Vertreter der
dominierenden Religion darauf verzichten von ihrer Dominanz in dem Sinne
Gebrauch zu machen, dass sie ihre Normen mit Hilfe der staatlichen Obrigkeit
durchsetzen. Der Begriff Toleranz wurde immer so verstanden, dass er sich auf
die Frage bezieht, ob der Staat die persönliche Weltanschauung des Einzelnen
respektiert und nicht darauf, ob der Einzelne die Weisungen der Obrigkeit
respektiert. Heute ist das Christentum zwar nicht mehr unbedingt
Mehrheitsreligion und ob es die Gesellschaft dominiert ist schon längst
fraglich. Dennoch könnte man von Intoleranz ihm gegenüber erst sprechen, wenn
die Glaubensausübung von Staats wegen behindert wäre. Das wäre aber mit der
Aufhebung des Tanzverbots objektiv keineswegs der Fall. Wer die Aufhebung einer
Diskriminierung in die eine Richtung als Diskriminierung in die andere Richtung
interpretiert, liegt meiner Meinung nach grundsätzlich falsch, weil eine solche
Sicht einen verstellten Blick offenbart. Aus einem solchen leitet sich dann auch
die Schlussfolgerung her, dass mit dem Tanzverbot auch der Feiertag selbst
fallen würde. Es wäre wohl eher eine Blamage, wenn die Bedeutung eines
religiösen Feiertages von der Durchsetzung einer allgemeinen Vorschrift
abhinge. Außerdem ist es vielmehr so, dass die gesetzlichen Feiertage vom Staat
gewährt werden, der sich dafür lediglich der überlieferten religiösen Feiertage
bedient. Dies hat auch Heinrich Schmitz im European in einer Antwort auf einenKommentar zu seinem Artikel verdeutlicht. Die Authentizität des Feiertages hängt doch
in Wahrheit davon ab, wie viele Gläubige ihn tatsächlich seiner Bedeutung
entsprechend begehen und nicht davon, was die Nichtgläubigen zur selben Zeit
tun … Dazu trägt wohl eher die Theologie bei, wie sie Publik-Forum vertritt. Hier zeigt sich auch, dass diese Richtung ebenso wenig Probleme mit staatlichen
Eingriffen in die Religionsfreiheit hat, wenn sie in ihrem Sinne sind; genau
entgegengesetzt zu meinem Verständnis des Verhältnisses von Religion und
Staat. Es hat den Anschein, dass für
diese Strömung, die sich „kritische Christen“ nennt, die Trennung von Religion
und Staat womöglich gar nicht erstrebenswert ist. Sie streben inhaltlich eine
andere Art Kirche, scheinbar modernere an, in der das Übernatürliche und das
„Christologische“ eliminiert ist, ein Christentum, das sich Judentum und Islam
annähert. Dieses soll aber in den traditionellen volkskirchlichen Strukturen
bleiben, die sich allerdings immer mehr auflösen. Die Tatsache, dass die
traditionellen Kirchen nur noch einzelne Angebote unter vielen im religiösen
spirituellen Bereich sind, scheint bei gewissen Kirchenvertretern noch nicht angekommen
zu sein, am wenigsten bei denen, die sich selbst für besonders „kritisch“
halten. Vor diesem Hintergrund muss man es dann eigentlich verstehen, wenn aus
diesem Spektrum Forderungen nach demokratischen Strukturen und Lockerung
gewisser Regeln gestellt werden. Denn objektiv gibt es in einer demokratischen, offenen
Gesellschaft keinen Grund, dass eine Religionsgemeinschaft sich in dieser Weise
ändern müsste, denn wenn die Gesellschaft eine säkulare ist, dann ist die
Zughörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft freiwillig, was bedeutet, dass wenn
man mit den Grundsätzen seiner Gemeinschaft nicht mehr übereinstimmt, man sie
verlassen und eine neue bilden kann. So stehen die angeblich progressiven
Reformforderungen letztlich vor dem Hintergrund einer reaktionären Einstellung,
nämlich dass die Kirche mit der Gesellschaft identisch sein muss.
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